Die freien Plätze waren bereits nach wenigen Minuten ausgebucht: Getreu dem Motto der bundesweiten Aktion „Handwerk erleben“ packen die Schülerinnen beim Zukunftstag der Handwerkskammer Hannover direkt mit an. In der Kfz-Werkstatt werden Zündkerzen aus einem Zylinderkopf herausgeschraubt oder Autoreifen an Fahrzeuge montiert und demontiert. Und das, obwohl das Kfz- Handwerk in der Beliebtheitsskala der weiblichen Auszubildenden erst auf Platz 58 rangiert. Im Gegensatz dazu steht der Beruf bei den männlichen Azubis traditionell an erster Stelle. Die meisten Mädchen entscheiden sich stattdessen oft für „typische Frauenberufe“, sei es im Büro, Einzelhandel oder im sozialen Bereich. Unter den Kfz- Mechatroniker*innen liegt der Anteil von Frauen bei nur 2,3 Prozent – doch die wirklichen Anforderungen des Berufs spiegelt dies nicht wieder. Denn mit ölverschmierten Händen hat der Job heutzutage kaum noch etwas zu tun. Stattdessen steht die Arbeit an Mess- und Diagnosegeräten im Mittelpunkt. Dafür braucht es keine Muskelkraft, sondern Köpfchen. Imke Ahrens will dazu beitragen, dass sich dies unter jungen Frauen auch herumspricht. Die Kfz-Auszubildende begleitet die Schülerinnen beim Zukunftstag, erklärte die Arbeitsschritte und beantwortet die Fragen. „Ich finde es wichtig, dass mehr Mädchen ins Handwerk kommen. Ich selber habe meine Freude daran und will, dass sie einen Einblick bekommen, wie viel Spaß es machen kann“, so die 17-Jährige.
Ziel der Veranstaltung auf dem Campus Handwerk der Handwerkskammer Hannover ist es, Schülerinnen der Klasse 5 bis 10 für handwerkliche Berufe zu begeistern. „Dafür bieten wir die Chance, spannende Lehrwerkstätten auf dem Campus kennenzulernen“, erklärt Ausbildungsberaterin Sonja Plötz, die gemeinsam mit ihrer Kollegin Malwine Dubik die Schülerinnen auf dem Campus in Garbsen begleitet.
„Wir möchten begeistern und Mädchen dazu ermutigen, sich nach der Schule für einen Handwerksberuf zu entscheiden. Durch Ausprobieren erleben, dass man als Mädchen tolle Berufe im Handwerk findet – das mitzuerleben ist großartig“, fügt Malwine Dubik hinzu. Dafür sind ausschließlich weibliche Auszubildende von hannoverschen Handwerksbetrieben zur Unterstützung vor Ort. „Das Konzept fahren wir bewusst, denn die Frauen erfüllen natürlich automatisch auch eine Vorbildfunktion.“ Tatsächlich kann in einigen Handwerksberufen eine Steigerung unter den Frauen festgestellt werden, darunter zum Beispiel der Beruf der Tischlerin. 2021 lag die Zahl der Ausbildungsverhältnisse bei 48. Das sind zwölf mehr als ein Jahr zuvor – mit einem Trend, der sich auch in den Vorjahren schon gezeigt hatte. Es liegt nahe, dass der Zukunftstag für Schülerinnen, auch Girls’ Day genannt, dazu beigetragen hat. Schließlich ist er bundesweit das größte Berufsorientierungsprojekt für Schülerinnen – mit mehr als zwei Millionen Teilnehmerinnen seit dem Start im Jahr 2001.
Jahr für Jahr öffnen am Zukunftstag – am vierten Donnerstag im April – Unternehmen, Hochschulen und Institutionen in ganz Deutschland ihre Türen für Schülerinnen ab Klasse 5. Die Mädchen lernen Ausbildungsberufe und Studiengänge in IT, Handwerk, Naturwissenschaften und Technik kennen, in denen Frauen bisher wenig vertreten sind. Zudem können sie weiblichen Vorbildern in Führungspositionen aus Wirtschaft und Politik begegnen.
Den Zukunftstag gibt es natürlich nicht nur für Mädchen – es gibt auch einen Boys’ Day, der nach demselben Prinzip funktioniert. Ein Prinzip, das mit „Adé Klischee“ sehr treffend beschrieben ist. So bietet die Landeshauptstadt zum Beispiel bei ihren Zukunftstag-Angeboten für Jungen Einblicke in pädagogische, soziale oder pflegerische Berufe und für Mädchen Einblicke in technische und handwerkliche Berufe. Schüler erhalten die Möglichkeit, die Arbeit von Erzieher*innen oder Altenpfleger*innen kennenzulernen, Schülerinnen können sich in gärtnerischen Bereichen, in der Programmierung oder im feuerwehrtechnischen Dienst ausprobieren.
Das Potenzial für Verbesserungen hinsichtlich der Berufswahl ist groß: Es gibt mehr als 330 duale Ausbildungsberufe in Deutschland. Aber noch immer entscheidet sich mehr als die Hälfte der Mädchen für eine Ausbildung in einem der zehn unter Frauen beliebtesten Berufe – darunter kein einziger gewerblich-technischer. Das gilt ähnlich auch für die Jungen: Mehr als die Hälfte von ihnen entscheidet sich für einen der zwanzig bei Männern populärsten Ausbildungsberufe.
Aber nicht nur die Vorurteile über „typische Frauen- oder Männerberufe“ sorgen dafür, dass Wirtschaftskraft und Arbeitszufriedenheit verloren gehen. Arbeitnehmer*innen leiden darunter, wenn Betriebe keine passenden Arbeitszeitmodelle oder Kinderbetreuung anbieten. Denn die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sorgt bei vielen Arbeitskräften für Stress, wenn die Rahmenbedingungen nicht stimmen. Dabei gibt es für fast jede familiäre Situation ein passendes Arbeitszeitmodell, ob Teiloder Gleitzeit, Vertrauensarbeitszeit oder Homeoffice, Jobsharing oder Lebensarbeitszeit. Hierzu bietet die Koordinierungsstelle Frau und Beruf der Region Hannover ein kostenfreies Beratungsangebot für passende Strategien und Wege in die berufliche Zukunft.