Jede*r Hannoveraner*in kennt diese Situation: Beim Besuch in einer anderen Großstadt, sagen wir mal Berlin, erwähnt man einem Metropoleneinwohner gegenüber im Nebensatz, aus Hannover zu kommen. Die Gesichtszüge des Gegenübers verraten zumeist, was diese Äußerung bei diesem hervorruft – eine Mischung aus Entsetzen und Mitleid. Die meisten stehen ganz offen zu ihren Vorurteilen. Hannover wäre unfassbar langweilig, unsexy, eine Stadt ohne Eigenschaften, die Architektur hässlich, die Menschen maulfaul und dröge.
Was hat sich der Schreiber dieser Zeilen, der sich regelmäßig in Berlin aufhält, nicht schon den Mund fusselig geredet, warum er sich nach Berlin- Aufenthalten wieder nach Hannover zurücksehnt. Eben weil es hier so schön „langweilig“ ist, die Menschen vielleicht maulfaul, dafür aber verlässlich und unendlich sympathisch sind. Aber der Reihe nach. Was ist wirklich typisch für Hannover?
Spannung entsteht in Hannover immer ein wenig unter der Oberfläche. Es gibt hier viele kleine Musikclubs, eine pulsierende Kulturszene, viele von der Basis angetriebene Projekte. Das kreHtiv-Netzwerk etwa ist das größte seiner Art in Deutschland und die Ernennung der Stadt zur „Unesco City of Music“ sein Verdienst. Von der Dadaismus-Ikone Kurt Schwitters bis zu den Nanas von Niki de Saint Phalle, von den Scorpions bis zu Jeremias, von Thomas Quasthoff bis zu Igor Levit – aus Hannover kommen immer wieder wichtige künstlerische Impulse. Was ist nicht alles in Hannover entstanden, ohne die unsere Welt eine viel langweiligere wäre? Emil Berliner erfand hier die Schallplatte, die CD ging hier erstmals in Serienproduktion. Der erste Flohmarkt Deutschlands fand in der Altstadt statt. Die international erfolgreichste Rockband Deutschlands kommt aus Hannover und lebt noch immer in der Region. Wir könnten jetzt endlos weitere Pro-Hannover-Argumente aufzählen, doch kommen wir endlich zum Kern dieser Abhandlung: Was ist typisch für Hannover?
In der Tat ergab eine statistisch nicht belegte Umfrage des Autors: Das Schützenfest steht an erster Stelle der Typisch-Hannover-Rangliste, zumindest bei echten Einheimischen. Es ist weltweit das Größte seiner Art und nicht nur wegen des Schützenausmarsches das Pendant zum Karneval der Rheinländer. Hier beweist sich: Hannoveraner*innen können ganz schöne Feierbiester sein. Kölsch trinken, Maßkrüge stemmen, wie langweilig! In Hannover kippt man Lüttje Lagen! Das ist eine Kunst, und die kann nicht jeder! Es gilt – ohne zu kleckern – ein kleines Glas Bier zwischen Daumen und Zeigefinger sowie ein mit Korn gefülltes Schnapsglas zwischen Mittel- und Ringfinger zu klemmen und beides in einem Zug zu trinken. Das Lüttje-Lage- Ritual gehört ebenso zu den urtypischen Traditionen dieses Festes wie die Trommelfell strapazierende Abholung der Schützenkönige im Morgengrauen des Schützenausmarsches und die Wahl des Bruchmeisters. Seit dem 14. Jahrhundert werden diese Männer, die für die Ordnung des Schützenfestes sorgen, für ein Jahr gewählt und vom Oberbürgermeister ernannt. Im letzten Jahr aber endete die 720 Jahre alte Tradition – es wurde erstmals eine Bruchmeisterin ernannt. Auch das ist irgendwie typisch für Hannover: Tradition und Moderne ergänzen sich hier und schließen sich nicht aus!
Thüringen hat die Rostbratwurst. Nürnberg den Glühwein, München die Weißwurst. Und Hannover? Na klar, den Bahlsen-Keks. Den kennen sogar die US-Amerikaner. Eine typisch hannoversche, aber doch eher unterrepräsentierte Gastro-Spezialität ist der Calenberger Pfannenschlag. Ein früheres „Arme-Leute-Essen“, eine in der Pfanne knusprig gebratene Kochwurst aus Hafergrütze, gekochtem Schweine- und Rindfleisch, Zwiebeln und kräftigen Gewürzen. Das ideale Getränk dazu ist, Sie ahnen es, eine Lüttje Lage.
Hannover wäre grau, hört man immer wieder von Auswärtigen. Das klassische Vorurteil. Wenn man dann nachhakt, warum das denn so sei, erfährt man, dass die Urteilenden von Hannover meist nur den Bahnhof, „diesen Platz hinter dem Bahnhof“, gemeint ist der Raschplatz, oder die Vahrenwalder Straße kennen. Zugereiste mit ein wenig mehr Erfahrung hingegen schätzen an Hannover neben den bezahlbaren Mieten vor allem den Erholungscharakter der „grünen Stadt“. In Fakten: Alle Grün- und Freiflächen (einschließlich Landwirtschaftsflächen und Gewässer) machen zusammen rund 50 Prozent der gesamten Stadtfläche aus. Und weniger abstrakt: Der Stadtwald Eilenriede, die zahllosen Parks und Gärten, die Teiche und Seen, die Wege an Leine, Ihme und Mittellandkanal sind einfach eine Wucht.
Hannover ist die Stadt, in der die SPD den Bürgermeister stellt und das oft das halbe Leben des Bürgermeisters lang. Von wegen! Seit 2019 regiert mit Belit Onay erstmals ein Grüner – und er ist sogar der erste türkischstämmige Oberbürgermeister einer Landeshauptstadt.
In Hannover wird das beste Hochdeutsch des Landes gesprochen. Wer schon mal eine CD des hannöverschen Comedy-Duos Siggi und Raner gehört hat, wird dem widersprechen. Nur in Hannover kommen die „Hachten innen Gachten“. Froindschaft!